Aufschieben ist Kommunikation

Was Führungskräfte über Prokrastination lernen können

Aufschieben passiert nicht, weil Menschen faul sind. Es passiert, weil sie fühlen. Und genau darin liegt eine Chance: Wer versteht, welche Emotionen hinter Prokrastination stecken, kann Vertrauen stärken, Klarheit schaffen und Führungskultur gestalten. Hierbei spielt HR eine entscheidende Rolle.  

Ein Beispiel: 

Es ist Montagmorgen. Das Büro füllt sich mit gewohnter Geschäftigkeit. Tastaturen klackern, Gespräche auf dem Flur, der Duft von frischem Kaffee. Nur Thomas, der Teamleiter einer Fachabteilung, wirkt abwesend. Er starrt auf den Bildschirm. Die Präsentation fürs Strategie-Meeting ist noch nicht fertig, obwohl sie schon letzte Woche hätte stehen sollen. Immer wieder war „etwas anderes“ wichtiger. Jetzt ist es kurz vor knapp, und der Druck steigt. 

„Ich bin einfach noch nicht so weit“, sagt Thomas. Dabei weiß er selbst nur zu gut, dass das nicht stimmt. 

Prokrastination, also das bewusste Aufschieben wichtiger Aufgaben, kennt nicht nur Thomas. Sie betrifft Menschen in allen Positionen, von der Sachbearbeiterin bis zur Geschäftsführung. Und sie ist mehr als ein individuelles Problem: Sie spiegelt Strukturen, Kommunikationsmuster und Führungskultur wider. Denn Aufschieben ist selten Faulheit. Es ist ein Signal dafür, dass etwas im System blockiert. 

Das unterschätzte Führungsphänomen

Führungskräfte sind Vorbilder, aber auch Menschen mit eigenen Unsicherheiten, Überforderungen und Emotionen. Gerade dort, wo Druck, Verantwortung und Komplexität zusammentreffen, entsteht Prokrastination besonders leicht. Entscheidungen werden aufgeschoben, Gespräche vertagt oder Projekte „noch einmal überdacht“. Das ist menschlich. Doch: Führung durch Aufschub ist auch Kommunikation. 

Wer Aufgaben oder Entscheidungen immer wieder vertagt, sendet unbewusst Signale: ans Team, an Kolleg:innen, an die Organisation. Diese Signale werden wahrgenommen, interpretiert und wirken weiter, beabsichtigt oder nicht. Denn Führung entsteht nicht nur durch das, was gesagt oder entschieden wird, sondern auch durch das, was unausgesprochen bleibt. 

Wenn Themen liegen bleiben, Entscheidungen vertagt oder Projekte nicht abgeschlossen werden, entsteht beim Team schnell eine stille Dynamik aus Unsicherheit, Fragen und Mutmaßungen:  

  • „Ist das Thema vielleicht doch nicht so wichtig?“ 
  • „Fehlt die Richtung – oder der Mut zur Entscheidung?“ 
  • „Darf ich selbst weitermachen, oder warte ich lieber ab?“ 

So wird aus Aufschieben ein kollektives Bremsen. Was auf der Führungsebene beginnt, kann sich unbemerkt im Team fortsetzen und die Handlungsenergie ganzer Bereiche schwächen. 


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Aufschub wirkt wie ein Schatten in der Kommunikation: Er macht Entscheidungswege länger, senkt die Verbindlichkeit und lässt Vertrauen bröckeln. Mitarbeitende spüren intuitiv, wenn Führung vermeidet, statt zu führen. Nicht selten reagieren sie darauf mit Rückzug, Anpassung oder eigenem Aufschieben. 

Führung heißt deshalb auch, die Verantwortung für die eigenen Aufschubmomente zu übernehmen – und sie aktiv zu gestalten. Nicht jede Entscheidung muss sofort fallen. Aber jede Entscheidung braucht Kommunikation darüber, warum sie (noch) nicht fällt. Das schafft Transparenz und erhält Vertrauen. 

Wenn Führungskräfte selbst aufschieben

Gerade in Führungsrollen ist Prokrastination oft mit emotionalen Barrieren verbunden. Es geht dabei selten um mangelnde Disziplin oder schlechte Organisation. Im Gegenteil: Viele Führungskräfte sind hochstrukturiert, verantwortungsbewusst und leistungsorientiert. Und genau das macht sie anfälliger für Aufschieben. 

Denn oft löst nicht die Aufgabe selbst den inneren Widerstand aus, sondern das Gefühl, das mit ihr verbunden ist. Ein schwieriges Gespräch mit einem Teammitglied zum Beispiel kann Angst vor Konflikten wecken. Eine strategische Entscheidung kann die Sorge auslösen, andere zu enttäuschen. Ein neues Projekt kann Perfektionismus aktivieren. 

Diese inneren Hürden sind oft unsichtbar und zugleich hochwirksam. Denn wer sich ständig selbst kontrolliert und hohe Erwartungen erfüllen will, erlebt jede Aufgabe nicht nur als Arbeit, sondern als potenzielles Risiko: für Kritik, für Scheitern, für Ablehnung. Der Aufschub wird dann zu einem psychologischen Schutzmechanismus. Kurzfristig wirkt er erleichternd, langfristig jedoch blockierend. 

Führungskräfte geraten so leicht in einen Kreislauf: Je länger sie aufschieben, desto größer wird der Druck, desto höher die Ansprüche, desto stärker das Zögern. Viele erkennen das Muster, allein es fehlt Zeit und/oder Know-how, es bewusst zu durchbrechen. 

Hier setzt moderne HR-Arbeit an: Sie kann Räume schaffen, in denen Führungskräfte über diese Dynamiken sprechen, sie reflektieren und lernen, emotionalen Druck in Handlung umzuwandeln. Denn hinter jedem Aufschieben steckt eine Emotion – und wer sie versteht, kann sie führen. 

So gelingt’s:

  • Selbstreflexion fördern: Integrieren Sie das Thema „Umgang mit Aufschieben“ in Leadership-Trainings oder Coachings.  
  • Emotionen benennen: Machen Sie erlebbar, dass Prokrastination meist emotional getrieben ist – nicht rational. 
  • Mut zur Unvollkommenheit: Führen heißt, Entscheidungen zu treffen, auch wenn sie nicht perfekt sind. 

Und so könnte dies konkret aussehen:  

Ein Energieunternehmen führte monatliche Peer-Coachings für Führungskräfte ein. Hier reflektieren sie gemeinsam, welche Entscheidungen sie aktuell vermeiden. Auf dieser Basis entwickeln sie konkrete Strategien, um ins Handeln zu kommen. HR moderiert und leitet Erkenntnisse anonymisiert in die Organisationsentwicklung zurück. 


Hier eine pragmatische Checkliste, um mit kleinen Schritten dem Aufschieben Herr oder Frau zu werden: Checkliste


Wenn Mitarbeitende prokrastinieren

Auch in Teams ist Aufschieben weit verbreitet – oft getarnt durch rationale Begründungen:

  • „Ich brauche noch mehr Input.“ 
  • „Ich will das Konzept erst richtig durchdenken.“ 
  • „Mir fehlt noch die Freigabe.“ 

Doch hinter diesen Sätzen steckt meist mehr als fehlende Organisation, denn Prokrastination im Team ist selten ein Zeitproblem. Sie ist ein Klima- und Kulturthema. Menschen schieben Aufgaben vor sich her, wenn sie sich unsicher fühlen, Erwartungen unklar sind oder sie Angst haben, Fehler zu machen. In leistungsorientierten Umfeldern, in denen Perfektionismus, Termindruck und ständige Vergleichbarkeit dominieren, kann das leicht passieren. 

Für Führungskräfte bedeutet das: Aufschieben ist kein individuelles Fehlverhalten, das korrigiert werden muss. Es ist vielmehr ein Symptom, das verstanden werden will. Mitarbeitende, die prokrastinieren, versuchen meist nicht, sich der Verantwortung zu entziehen. Sie versuchen vielmehr, Kontrolle über eine Situation zurückzugewinnen, die sie als überfordernd erleben. 

Hinzu kommt: Wer wiederholt erlebt, dass auf Fehler mit Kritik statt mit Unterstützung reagiert wird, wird vorsichtiger und zögert eher, den ersten Schritt zu machen. So entsteht eine Kultur des Wartens: auf klare Ansagen, auf Zustimmung, auf Sicherheit. Und je länger gewartet wird, desto stärker verfestigt sich das Gefühl, nichts „richtig“ machen zu können. 

Hier können Führung und HR gemeinsam gegensteuern. Es braucht Klarheit, psychologische Sicherheit und Anerkennung für den Weg. Nicht nur für das Ergebnis. 

So gelingt’s:

  • Ziele gemeinsam klären: Unsicherheit entsteht oft aus unklaren Erwartungen. Mitarbeitende müssen wissen, was Erfolg konkret bedeutet. 
  • Kleine Schritte ermöglichen: Große Aufgaben in Etappen zerlegen. Sichtbare Fortschritte stärken Motivation und Selbstwirksamkeit. 
  • Offen über Blockaden sprechen: Wenn Führungskräfte aktiv nachfragen – „Was hält dich gerade auf?“ – entsteht Dialog statt Bewertung. 
  • Kultur des Vertrauens leben: Fehlerfreundlichkeit und transparente Kommunikation nehmen Druck und fördern Eigeninitiative. 

Auch hierzu wieder ein konkretes HR-Beispiel: 

Ein Softwareunternehmen startete die interne Initiative „Mut zum ersten Schritt“. Mitarbeitende teilen dort wöchentlich kleine Fortschritte oder Lernmomente. HR begleitet die Kommunikation mit Tipps zum Selbstmanagement und fördert so eine Kultur des Ausprobierens statt Aufschiebens. Das Ergebnis: weniger Perfektionsdruck, mehr Mut zum Handeln und Teams, die sich gegenseitig in Bewegung bringen. 

Fazit: Prokrastination vermeiden – Kulturwandel fördern

Prokrastination ist kein persönliches Versagen. Sie ist ein Symptom dafür, wo Menschen und Organisationen emotional oder strukturell blockiert sind. Führungskräfte, die dies erkennen, schaffen einen Kulturwandel: Weg von „Warum machst du das nicht?“ hin zu „Was hält dich auf? Und wie können wir das gemeinsam lösen?“. Wenn HR und Führung gemeinsam handeln, entsteht eine Arbeitskultur, in der Vertrauen, Klarheit und Handlungslust wachsen. Denn nicht das Aufschieben ist das Problem. Das Schweigen darüber ist es. 

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